Berliner Zeitung 2008

Berliner Zeitung

von Stefan Strauss, Foto Max Lautenschläger, vom 7. Juli 2008

Wohnen im Denkmal – Bewohner der Hufeisensiedlung hoffen auf die Unesco und benennen den U-Bahnhof vor ihrer Tür um

BRITZ – Zu jedem Dateil in ihrer Sechs-Zimmer-Wohnung könnte Katrin Lesser eine Geschichte erzählen. Die 45-jährige Landschaftsarchitektin hat die Historie der Hufeisensiedlung erforscht und alte Fotos aus Archiven gesucht. In zwei Zimmern ihres denkmalgeschützten Reihenhauses in der Parchimer Allee hat sie an einer Stelle den ersten Farbanstrich freigelegt. Dunkelrot waren damals die Wände des Wohnzimmers, blau die Wände in einem anderen Raum. Auf die Holzdielen war rote Farbe gestrichen. Marke Ochsenblut. Der Architekt Bruno Taut hatte es so gewollt.

Heute sind die Dielen abgezogen und die Wände weiß gestrichen, doch Doppelkastenfenster, Türen, Klinken und Griffe sind im Original erhalten. Katrin Lesser ist stolz, mit ihrer Familie in einer Siedlung zu leben, an deren Berühmtheit auch ihr Urgroßvater, der Gartenarchitekt Ludwig Lesser, beteiligt war. Er gestaltete unter anderem die Umgebung der Weißen Stadt in Reinickendorf und der Gartenstadt Falkenberg. Heute entscheidet die Unesco im kanadischen Quebec, ob die sechs dieser Berliner Siedlungen der Moderne in ihre Weltkulturerbe-Liste aufnimmt. Aus diesem Grund gaben Bewohner der Hufeisensiedlung dem U-Bahnhof Parchimer Allee gestern Mittag den Namen Hufeisensiedlung. Ein symbolischer Akt. Die Bewohner fürchten, dass der Charakter der Siedlung bald verloren gehen könnte.

In den 20er Jahren hatten Architekten wie Bruno Taut, Walter Gropius und auch Ludwig Lesser Siedlungen geplant, in denen die Arbeiter in Wohnungen ziehen konnten, die hell, luftig und sonnig waren, es gab Innentoiletten und Gärten.

Die Wohnungen der Hufeisensiedlung sehen auch heute noch besonders aus. So sind die Fensterrahmen im Haus von Familie Lesser gelb, hellblau und schwarz gestrichen. „Der Garten ist unser verlängertes Wohnzimmer“, sagt Katrin Lesser. Kommen Freunde aus Mitte zu Besuch, sagen sie: wir fahren raus zu euch aufs Land. Doch einige Bewohner fürchten, der ganz besondere Charme der denkmalgeschützten Wohnanlage könne verloren gehen. Die Hälfte der Reihenhäuser hat die Wohnungsbaugesellschaft Gehag an einzelne Bewohner verkauft. „Aus einem Gesamtdenkmal wurden so lauter Einzeldenkmale“, sagt Achim Berger vom Verein Freunde und Förderer der Hufeisensiedlung. Eigentümer nutzen jetzt ihre Vorgärten als Parkplatz, Fenster, Türen und Fassaden werden ohne Rücksicht auf Denkmalschutz verändert.

Wenn die Hufeisensiedlung Weltkulturerbe werden sollte, hoffen Bewohner wie Achim Berger und Katrin Lesser, könnte sich auch der Senat verpflichtet fühlen, den Charakter der Siedlung zu schützen. „Hier darf nichts zerstört werden“, sagt Katrin Lesser. Das sei sie schon allein ihrem Urgroßvater schuldig.