Berliner Zeitung
von Karin Schmidl, Foto Max Lautenschläger, vom 21. August 2003
Gärten fürs Volk – Die Landschaftsarchitektin Katrin Lesser fühlt sich dem Werk ihres berühmten Urgroßvaters verpflichtet
REINICKENDORF. Als Katrin Lesser 16 war, wusste sie nicht, welchen Beruf sie erlernen sollte. Sie besann sich auf das, was in ihrer Familie über Generationen üblich war und wurde Landschaftsarchitektin. Sie lernte mit den verschiedenen Pflanzen umzugehen, Bewässerungskanäle, Wege und Fundamente anzulegen sowie Bauleute und Bauherren gleichermaßen von ihren Entwürfen zu überzeugen. Welche Verpflichtung sie mit ihrer Berufswahl übernahm, wurde Katrin Lesser aber erst bewusst, als ein Professor sie bat, ihre Diplomarbeit über ihren Urgroßvater, den Landschaftsarchitekten Ludwig Lesser zu schreiben. „Aha, dachte ich, der kennt ihn, aber wieso soll ich eine wissenschaftliche Arbeit über ihn schreiben?“ Das wurde ihr beim Stöbern im Familienarchiv und beim Studium vieler Anlagen ihres Urgroßvaters klar. Unzählige Privatgärten, öffentliche Parks, ganze Viertel, aber auch Friedhöfe und andere Flächen sind von Ludwig Lesser gestaltet worden. Die Diplomarbeit der Urenkelin wurde 300 Seiten stark, ein Teil davon wurde veröffentlicht.
„Ludwig Lesser war ein Gartenarchitekt, der sich sozial stark engagierte“, sagt Katrin Lesser. Weil er selbst in der Großstadt aufwuchs, kannte er den Mangel an Spielplätzen. Grünanlagen, in denen Kinder nur brav spazieren, aber nicht toben durften, waren ein Gräuel für ihn. Lesser entwickelte die Idee vom Volkspark. In dem es schattige und sonnige Plätze zum Ballspielen und Erholen gab, mit Sitzbänken sowie Spielplätzen und Plantschen für Kinder und mit Gebäuden, in denen stärkende Milch ausgeschenkt wird.
Einen solchen Park wollte er auch in der Gartenstadt Frohnau anlegen, deren Gestaltung er ab 1908 übernahm. „Reine Schmuckplätze, wie sie gefordert wurden, etwa der Ludolfinger- und der Zeltinger Platz, haben ihn eher geschmerzt, so hat er aufgeschrieben“, sagt Katrin Lesser. Der Volkspark Frohnau scheiterte schließlich am Ausbruch des Ersten Weltkriegs, heute trägt ein Wäldchen am Poloplatz den Namen Ludwig Lessers. Der Gartenarchitekt schrieb Ratgeber zur Pflanzenpflege, zeigte Dias über seine Projekte und hielt Vorträge im Rundfunk. Die Natur den Menschen nahe zu bringen war seine Mission. 1933 erhielt der Jude Ludwig Lesser Berufsverbot, 1939 emigrierte er nach Schweden, wo er 1957 starb.
Katrin Lesser hat oft in Anlagen gearbeitet, die ihr Urgroßvater schuf. Für die Gartenstädte Frohnau in Reinickendorf und Falkenberg in Treptow erstellte sie historische Studien, um den ursprünglichen Charakter der Ensembles behutsam wieder herzustellen. Ebenso entwickelte sie ein Pflanzkonzept für den Park um die Residenz des dänischen Botschafters in Dahlem. Dass es ihr Gartendenkmale besonders angetan haben, hängt eindeutig mit dem berühmten Vorfahren zusammen. Doch die Landschaftsarchitektin legt auch gern eigene Gärten an, im spanischen Malaga, in Berlin, Brandenburg oder in Karlsruhe, wo sie derzeit arbeitet.
Und auch für die Erbfolge im Beruf scheint gesorgt. Katrin Lessers zwölfjährige Tochter Caterina hat der Mutter beim Einzug einen Zettel mit Anweisungen zur Gartengestaltung überreicht: „Ein kleiner Teich muss angebaut werden“, und „Ein Obst- und Gemüsebaum muss her“.